suededeutsche.de vom 14.07.2008

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Nicht mehr lieb, aber teuer 

Der Ex-Partner muss während der ersten drei Jahren für seine Kinder aufkommen. Der Bundesgerichtshof muss klären, unter welchen Umständen die Unterhaltspflicht länger gilt. 
Von Helmut Kerscher 

Mit der "Billigkeit" ist es wie mit der "Sittlichkeit": Keiner weiß genau, was das ist; aber jeder hat so seine Vorstellungen. Was sich die Gerichte unter "Billigkeit" im Sinn von Angemessenheit und unter "Sittlichkeit" vorstellen, ist in zahllosen Urteilen nachzulesen. 

Unbekannt ist hingegen die Antwort auf eine für Millionen Mütter und Väter eminent wichtige Frage: Wann entspricht es der "Billigkeit", dass eine Mutter von kleinen Kindern nicht Vollzeit arbeiten muss? Schon nach dem dritten, dem siebten oder erst dem vierzehnten Geburtstag eines Kindes? In der am Mittwoch beginnenden Verhandlung wird der BGH erstmals den hierfür zentralen Begriff der "Billigkeit" definieren, der seit dem 1. Januar im Gesetz steht. 


Der Ex-Partner muss in den ersten drei Jahren für den Unterhalt seiner Kinder aufkommen. Völlig unklar ist jedoch, unter welchen Umständen die Unterhaltspflicht länger gilt. 

Betroffene und Experten erhoffen sich eine Begradigung der ziemlich unübersichtlichen Frontverläufe an den Amts- und Oberlandesgerichten. Mittlerweile gilt zwar für geschiedene und nicht verheiratete Mütter einheitlich, dass sie in den ersten drei Lebensjahren eines Kindes keine Arbeit annehmen müssen.

Der Ex-Partner muss in dieser Zeit für den Unterhalt aufkommen. Völlig unklar ist jedoch, unter welchen Umständen die Unterhaltspflicht länger gilt. Der Gesetzgeber hat für beide Gruppen von Müttern formuliert, die Dauer eines Unterhaltsanspruchs "verlängert sich, solange und soweit dies der Billigkeit entspricht". Im ersten BGH-Urteil zu diesem Satz geht es um ehemalige Partner einer Lebensgemeinschaft ohne Trauschein, aus der ein heute acht und ein zehn Jahre altes Kind hervorgingen.

Nach der Trennung im Jahr 2002 verlangte die Frau außer dem Kindesunterhalt einen unbefristeten Betreuungsunterhalt von monatlich 1335 Euro. Das Oberlandesgericht Düsseldorf, eines der einflussreichsten Familiengerichte, sprach ihr 216 Euro bis zum sechsten Geburtstag des jüngsten Kindes zu. Der Vater wollte weniger zahlen und das auch nur bis zum dritten Geburtstag. Das sei ausreichend und im Gesetz als Regelfall vorgesehen. 

Ein Urteil mit Breiten- und Tiefenwirkung 

Der BGH muss nun zwei Probleme lösen. Zum einen muss er zunächst den Unterhaltsbedarf der Mutter bestimmen, der sich abstrakt nach ihrer "Lebensstellung" bemisst und sich konkret an ihrer früheren Einkommenssituation oder am Einkommen ihres Ex-Partners orientieren kann. Zum andern muss das Gericht Kriterien für die "Billigkeit" eines verlängerten Unterhalts entwickeln.

Das können "kindbezogene Gründe" sein, etwa eine Krankheit, oder "elternbezogene Gründe". In einem Fall wie diesem könnte durchaus eine Rolle spielen, dass die Kinder in einer festen Beziehung entstanden und die Frau auf die Nachwirkung der gelebten Familie vertrauen durfte. 

Die eigentliche Bedeutung des für Donnerstag erwarteten Urteils liegt aber in der Auswirkung eines staatlichen Betreuungsangebots auf den privaten Betreuungsunterhaltsanspruch. Ist einer Mutter immer dann eine Vollzeitarbeit zumutbar, wenn ein Kind vom dritten Lebensjahr an ganztags im Kindergarten oder in der Schule ist? Im Prinzip geht der Gesetzgeber davon aus, und viele Gerichte, bei weitem nicht alle, folgen ihm.

Der BGH hat gegen diese Deutung Bedenken erkennen lassen. Schließlich müssten die Kinder gleichwohl in den späten Nachmittags- und den Abendstunden betreut werden. Daraus könne sich für die Mutter im Verbund mit einer Vollzeitarbeit eine "überobligatorische Belastung", also eine unbillige Belastung ergeben. Wie auch immer der BGH entscheidet - sein Urteil wird Breiten- und Tiefenwirkung haben.

SZ vom 15.07.2008/woja

Süddeutsche Zeitung