Sueddeutsche.de vom 24.1.2008:

_______________________________

24.01.2008 8:00 Uhr 

Unterhaltsrecht
Was Männer hoffen und Frauen fürchten 

Das neue Unterhaltsrecht irritiert nicht nur frühere Ehepartner, sondern auch Richter und Anwälte - klare Regeln fehlen.
Von Felix Berth 

Beim Münchner Anwalt Ludwig Bergschneider rufen derzeit ständig Klienten von früher an. Meist sind es Männer, die den Familienrechtler sprechen wollen, und fast immer möchten sie erfahren, wann sie die Zahlungen an ihre ehemaligen Ehefrauen reduzieren oder gleich einstellen können. Denn die Männer hoffen auf das neue Unterhaltsrecht, das seit dem 1. Januar 2008 gilt. 

"Die haben oft völlig irreale Vorstellungen", sagt Bergschneider. Er rät den Männern häufig von neuen Prozessen ab, ähnlich wie seine Berliner Kollegin Jutta Wagner: "Die Änderungen werden längst nicht so dramatisch ausfallen, wie manche Männer hoffen und manche Frauen fürchten", sagt Wagner, die schon die letzte Reform des Scheidungsrechts 1977 als Anwältin miterlebt hat. 

Das erneuerte Unterhaltsrecht verteilt die Lasten nach einer Scheidung anders. Es sorgt für Aufregung bei längst getrennten Paaren, weil die neuen Regeln auch rückwirkend gelten. Es irritiert Richter und Rechtsanwälte, weil sie sich nicht länger an den klaren Regeln von früher orientieren können. Und es leitet eine Phase der juristischen Unsicherheit ein, weil sich in den nächsten Jahren erst allmählich herausstellen wird, wie die Richter die neuen Paragraphen anwenden.

Einer der ersten Fälle, die schon im Januar vor dem Oberlandesgericht München landeten und nach dem neuen Recht zu beurteilen sind, ist der von Heike und Thomas Müller. Die beiden, deren wirkliche Namen anders lauten, sind seit dem Jahr 2003 geschieden. Sie haben einen sechsjährigen Sohn, der bei der Mutter lebt und seit ein paar Monaten zur Schule geht. Und nun streiten sie, wie viel Unterhalt der Frau zusteht. 


Was ist eigentlich angemessen?


Nach der alten Rechtslage wäre der Fall eindeutig gewesen: Die "Null-acht-fünfzehn"-Regel, die jeder Familienrichter anwandte, gab dem betreuenden Elternteil nach einer Scheidung das Recht, bis zum achten Geburtstag des jüngsten Kindes zu Hause zu bleiben. Danach hätte - bis zum 15. Geburtstag des Kindes - eine Teilzeit-Arbeit als angemessen gegolten; danach hielten die Richter Vollzeit-Jobs für zumutbar, weshalb der Unterhalt erst dann entsprechend niedriger ausfiel. 

Im Fall Heike Müller wäre das Urteil also klar gewesen: Bis zum achten Geburtstag, noch zwei Jahre, hätte sie auf einen Job verzichten dürfen. Doch diese für Juristen komfortable Formel ist nun mit der Reform auf dem Müllhaufen der Rechtsgeschichte gelandet. Ab sofort kann ein geschiedener Ehegatte, der ein Kind erzieht, "für mindestens drei Jahre nach der Geburt Unterhalt verlangen", sagt das Gesetz. Dabei seien "die Belange des Kindes und die bestehenden Möglichkeiten der Kinderbetreuung zu berücksichtigen." 

Doch was bedeutet das für Heike Müller? Müsste sie jetzt schon Vollzeit arbeiten? Wenn nicht, ab wann müsste sie das tun? Könnten die Richter diesen Zeitpunkt schon heute festlegen - oder müsste Thomas Müller jedes Jahr erneut klagen? Und wie lange dürfte Heike Müller noch davon profitieren, dass ihr Ex-Mann als Manager ein hohes Einkommen hat?

Süddeutsche Zeitung