Zum Thema Umgangsvereitelung
»Wir müssen den seelischen Missbrauch von Kindern verhindern!«
Interview mit Prof. Dr. Uwe-Jörg Jopt
Prof. Dr. Uwe-Jörg Jopt ist Professor für Psychologie
an der Universität Bielefeld. Der Familientherapeut und Trennungs- und
Scheidungsberater ist an zahlreichen Familiengerichten als psychologischer
Sachverständiger tätig. Nach eigener Scheidung widmet er sich »dem oft
menschenverachtenden Umgang des Staates mit Trennungskindern«. Von vielen
Kollegen wird er als »Nestbeschmutzer« stark angefeindet.
In seinem Buch Im Namen des Kindes - Plädoyer für die Abschaffung des
alleinigen Sorgerechts (Rasch und Röhring 1992)
dokumentiert er den »strukturellen Wahnsinn eines hochkarätigen Apparates
beruflicher Scheidungsbegleiter«. Das »Kindeswohl«, sagt Jopt,
ist zu einer »leeren Worthülse« verkommen.
Väter ohne Kinder«, was fällt Ihnen da spontan ein, Herr Jopt?
Das erlebe ich jeden Tag, und ich kann nicht sagen, welches Beispiel schlimmer
ist: der Kontaktverlust eines 77jährigen, nichtehelichen Vaters oder das
zynische Verbot eines Gerichts, wonach einem nichtehelichen Vater untersagt
wurde, seinem Kind drei Zeilen per Postkarte zu schicken.
Die Szenerie im deutschen Nichtehelichenrecht war bis zum 30. Juni 1998
schlichtweg pervers und menschenverachtend. Was die Rechte nichtehelicher
Kinder betrifft, waren wir lange europäisches Schlusslicht.
Ich habe mit vielen Vätern gesprochen, denen nach Trennung von der Partnerin
jeglicher Kontakt zum Kind unterbunden wurde.
Hier zahlt das Kind den Tribut für eine Mutter, die unfähig ist, ihre
Eigenproblematik, ihre Wünsche nach bedingungsloser Abgrenzung zum Ex-Partner
vom Kind getrennt zu halten. Das Kind wird dieser Unfähigkeit geopfert.
Wenn wir wirklich ernst machen wollen mit der Verfassung, die ja nicht Mütter
in ihren psychologisch vielleicht verstehbaren »Beschränkungen« und Ängsten
schützt, sondern die Bedürfnisse und Rechte von Kindern, dann muss der Staat
alles Denkbare unternehmen, um diesen seelischen Missbrauch von Kindern zu
verhindern. Wenn es der Staat nicht tut, tut es keiner.
Wo liegen die Wurzeln für diese Verweigerungshaltung, die wir beim
sorgeberechtigten Elternteil nach Trennung oder Scheidung häufig antreffen?
Ich sehe ein ganzes Bündel von Motiven, die nicht alle gleichzeitig, die in
unterschiedlicher Mischung auftreten. Da ist zum Beispiel die Unfähigkeit,
zwischen meinen persönlichen Erwachseneninteressen nach Trennung vom Partner,
der mich enttäuscht und verletzt hat, und dem Bedürfnis meines Kindes zu unterscheiden.
Erwachsenenbedürfnisse und Kindesbedürfnisse werden einfach gleichgesetzt.
Zunehmend habe ich mit Fällen zu tun, bei denen die Wurzeln für dieses
Abgrenzungsbedürfnis nur noch in sozialen, tiefenpsychologischen Schichten der
Mutter zu suchen sind. Rational sind sie nicht mehr zu verstehen. Das sind die
schwersten Fälle. Wenn Sie mich fragen, wo die Motivation für dieses
Abgrenzungsbedürfnis liegt, dann hat das immer mit der Lebensgeschichte, mit
der Kindheitsgeschichte dieses Erwachsenen selbst zu tun. Warum diese
bedingungslose Abschottung des Kindes vom Vater? Ich erkläre es mir heute so,
dass in der durch die Trennung reaktivierten Kindheitskrise - mangelnde
Geborgenheit, mangelnde Akzeptanz, letztlich mangelndes Geliebtsein
- das eigene Kind zum einzigen Garanten, zum Symbol für die
Unerschütterlichkeit und Konstanz einer Liebesbeziehung schlechthin gerät.
Kann man diese Ausgrenzerinnen, von denen Sie
sprechen, überhaupt zur Verantwortung ziehen?
Wir Psychologen können besonders gut verstehen, weshalb ein Heimkind wieder
leicht auf abschüssige Wege kommt. Kein Mensch käme auf den Gedanken zu sagen:
»Deshalb bist du für dein Tun aber nicht mehr verantwortlich, Kind.« Analog
genauso hier: Wir verstehen die neurotischen Ängste der abschottenden Mutter.
Aber Verstehen ist das eine. Das andere ist, was wir mit den Rechten, den
legitimen Ansprüchen des Kindes in bezug auf seine
eigene Lebensqualität machen. Ich bin der Meinung, dass niemand das Recht hat,
seine eigenen Bedürfnisse, so legitim die auch sein mögen, auf dem Rücken
Abhängiger, hier also der Kinder, zu befriedigen. Vor diesem Missbrauch müssen
wir die Kinder schützen.
Wie viel Vater braucht ein Kind?
Soviel wie möglich. Vater soviel wie möglich und Mutter soviel wie möglich. Aus
der Sicht eines Kindes ist die Familie eine Lebensgemeinschaft aus Kind, Mutter
und Vater, im Hintergrund Großeltern, Onkel und Tanten. Dazu gehören auch noch
Freunde und vielleicht auch Mimi, die Katze. Dieser psychosoziale Kosmos ist
sein Leben, seine Identität. Das ist kein Beiwerk, sondern das ist der Kern
seiner kindlichen Persönlichkeit. Vor diesem Hintergrund ist jede Einschränkung
notwendigerweise ein massiver Einschnitt für diese kleine kindliche
Persönlichkeit, und ich kann nicht begreifen, woher wir im Trennungs- und
Scheidungsfall das Recht ableiten, diese Einschränkungen ohne Not vorzunehmen.
Wenn man davon überzeugt ist, dass dieser psychosoziale Kosmos zu einer
gesunden psychosozialen Entwicklung, zur Liebes- und Beziehungsfähigkeit eines
Kindes gehört, dann kann es nur einen Gedanken geben: Wie sichere ich dem Kind
diese Leute?
Würden Sie sogar so weit gehen und sagen: Besser ein schlechter Vater als
gar kein Vater?
Besser das Kind im Spannungsfeld seiner Eltern als gar kein Kontakt zu einem
Elternteil: Diesen Satz würde ich vorbehaltlos unterschreiben. Wenn »schlechter
Vater« heißt, dass der Vater sein Kind missbraucht, sage ich natürlich: Nein,
kein Kontakt! Wenn »schlechter Vater« jedoch allein die bewertende Sicht der
sorgeberechtigten Mutter widerspiegelt, kann ich nur nachdrücklich davor
warnen, vorschnell die Norm- und Wertvorstellung eines Elternteils als
Kriterium für schlecht oder gut zu machen.
Besuchsväter berichten nach der Trennung häufig von dem Dilemma, dass die
seltenen Treffen mit ihren Kindern zu Jahrmarktsaktivitäten verkümmern.
Im Rahmen der herkömmlichen Umgangsregelung erhalten die Vater-Kind-Kontakte
eine Exklusivität, die im normalen Lebensalltag einer intakten Familie nicht
anzutreffen ist. Ich kann verstehen, dass Väter sich zwei Wochen lang auf das
Wochenende freuen, an dem sie mit ihrer Tochter oder ihrem Sohn zusammensein dürfen. Von daher neigen sie dazu, diesen Tag
oder diese zwei Tage zu einem Erlebnis, zu einem Höhepunkt zu machen. Natürlich
hat diese Form der Kontaktgestaltung herzlich wenig mit einer natürlichen
Vater-Kind-Begegnung zu tun. Den Kindern wünsche ich, dass sie Väter haben, die
ihnen soviel wie möglich von ihrer Natürlichkeit und ihrer Eigentlichkeit
zeigen. Genau das ist es, was Kinder sich wünschen. Natürlich gehe ich mit
meinen eigenen Kindern auch mal in den Safari-Park. Das hat aber nicht diese
Ausschließlichkeit im Rahmen unserer Begegnung. Den Vätern möchte ich raten,
mehr Alltag in das Miteinander hineinzubringen. Ich weiß, dass viele Besuchsväter
Angst haben, an Attraktion zu verlieren - Angst, dass ihre Kinder sich abwenden
könnten. Sie sollten sich aber klarmachen, dass sie keinem etwas nützen, wenn
sie sich zum Hampelmann machen. Ich möchte die Väter beruhigen und ermutigen:
Eure Kinder wollen keinen Hampelmann-Papa! Die sind sogar noch sehr viel mehr
angetan und beeindruckt, wenn sie ihren Vater als lebendigen Alltagsmenschen
kennen lernen, der an so einem Wochenende einfach herüberbringt: Kind, ich hab
dich lieb. Mehr wollen die Kinder gar nicht.
Was können Gericht und Jugendamt tun, wenn ein Elternteil sein Sorgerecht
missbraucht?
Meine Position ist ja sehr klar, auch wenn sie nur von wenigen geteilt wird.
Ich glaube, dass die Verhaltensweisen in der Sorgerechtsauseinandersetzung aus
zwei Elementen resultieren: Das eine ist der Faktor Mensch - seine Biographie,
seine Geschichtlichkeit. Das andere ist der Rechtsrahmen, der dieses Verhalten
ermöglicht, zulässt oder unmöglich macht. Wenn ich hier Veränderungen schaffen
will, dann muss ich beiden Faktoren Rechnung tragen. Sind alle Bemühungen
fehlgeschlagen, beide Eltern für die Bedürfnisse ihrer Kinder zu
sensibilisieren, bleibt nur der rechtliche Raum. Hier ist der »staatliche
Wächter«, sind Gericht und Jugendamt, gefragt. Ich bin dafür, wo immer es hakt,
dem Elternteil, der hier in der Exklusivposition des Machthabers steht-
Sorgerecht hat mit Macht zu tun -, diese Macht zu nehmen. Das ist für mich
sogar verfassungsrechtliches Gebot: demjenigen, der es erkennbar nicht schafft,
seine Eigenproblematik hinter die Bedürfnisse seines Kindes zu stellen, und
sein Kind vom anderen Elternteil abschottet, diese Rechtsmöglichkeit, die er
als Sorgerechtsinhaber hat, zu nehmen. Dann habe ich das Kind noch nicht weg
von ihm, aber ich habe zumindest einen ersten Schritt getan, um von staatlicher
Seite zu signalisieren: Das nehme ich nicht hin. Ich bin nicht willens, das
Kind der Eigenproblematik eines Elternteils zu opfern und diesem ausgrenzenden
Elternteil noch das Sorgerecht zu verleihen. Der Elternteil, der die
Beziehungen seines Kindes stört, be- oder gar verhindert, darf auf keinen Fall
mit dem Gütesiegel alleiniger Elternverantwortung ausgestattet werden!
Ihre Kritiker sind der Meinung, dass Kinder aus Trennungs- und
Scheidungsfamilien zur Ruhe kommen müssen. Garant dafür sei das alleinige
Sorgerecht eines Elternparts.
Das ist Unfug. Das ist eine Mär, die sich durch das Familienrecht zieht,
seitdem wir das gemeinsame Sorgerecht diskutieren. Dahinter steckt die
Illusion, dass es eine rundherum befriedete, nichtinstrumentelle
Eltern-Kind-Beziehung gebe. Instrumentalisierte Kinder, wohlgemerkt aus Ehen,
sind das tägliche Brot des Familientherapeuten. Aber kein Mensch käme auf die
Idee zu sagen: Diese Kinder werden missbraucht, und deshalb muss hier
sorgerechtlich eingegriffen werden.
Aber eine Zwangsberatung im Trennungs- und Scheidung fall wollen Sie auch
nicht?
Doch, bedingungslos! »Zwangsberatung« sagen meine Kritiker, ich nenne das
lieber »Pflichtberatung«. Eine Pflichtberatung, die einzig und allein dazu
dient, dem instrumentalisierten Kind aus seiner seelischen Notlage
herauszuhelfen. Um in diese Richtung zu wirken, kann es in meinen Augen
überhaupt keinen Zwang geben: Zwang wurde bislang vielmehr von unserem
Scheidungsunrecht ausgeübt, das gewöhnlich einen Elternteil aus seiner bis
dahin selbstverständlichen Verantwortung für die gemeinsamen Kinder
herauskatapultiert.
Warum plädieren Sie so nachdrücklich für das gemeinsame elterliche
Sorgerecht nach Trennung oder Scheidung?
Der Titel »gemeinsames Sorgerecht«, das möchte ich ausdrücklich betonen, ist
nicht das Ziel. Das gemeinsame Sorgerecht ist der Name für ein Programm,
vielleicht für das schwerste Programm, das es gibt: Wie können zwei ehemalige
Partner Elternschaft praktizieren? Das gemeinsame elterliche Sorgerecht ist der
Rahmen, in dem man dieses neue Lebens- und Familienmodell, das uns kein Mensch
gelehrt hat, umsetzt. Ein Rahmen, in dem Eltern trotz Trennung, trotz Scheidung
dennoch große Stücke Gemeinsamkeit für die gemeinsamen Kinder leben können.
Wenn ein Elternteil sagt: Ich will nicht kooperieren; wenn er dem Kind die
Kontakte zum anderen Elternteil verweigert, dann muss man schleunigst gucken,
ob das Kind dann nicht zu dem Elternteil wechseln kann, der dieses Problem nicht
hat. Wir haben wahnsinnige Angst, ein Kind, das über Jahre bei seiner Mutter
gelebt hat, zum Vater übersiedeln zu lassen. Ich halte diese Angst in vielen
Fällen für unbegründet. Welches ist der größere Preis für ein Kind: An der
Seite einer gestörten Mutter gefangengehalten zu
werden oder an der Seite eines offenen, zulassenden, risikofreudigen Vaters zu
leben? Zu leben für den Preis, dass es die emotionale Gebundenheit - Bindung
mag ich das hier nicht nennen, das ist ja mehr eine emotionale Gefesseltheit -
an die Mutter aufgibt. Leider wird es immer eine Vielzahl von Kindern geben,
denen gar nichts anderes übrigbleibt, als sich zu
spalten und zwischen zwei Liebeswelten hin und her zu pendeln: der mütterlichen
und der väterlichen. Das ist das, was ich vorhin den Faktor Mensch nannte.
Sie kommen als Familientherapeut mit vielen Vätern zusammen, die ihre Kinder
überhaupt nicht sehen dürfen.
Was ich regelmäßig erlebe, das sind Eltern, zumeist Väter, die beim Gedanken an
den oftmals über Jahre anhaltenden Kontaktverlust zu ihren Kindern in tiefste
Verzweiflung geraten. Ich kann diese Betroffenheit sehr gut verstehen. Nehmen
Sie diesen 77jährigen Vater, der seine Tochter nicht sehen darf: Es sträuben
sich einem die Nackenhaare.
Gibt es Möglichkeiten, einem Vater zu helfen, der unter der totalen Trennung
von seinem Kind leidet?
Das Mittel kenne ich noch nicht. Soll ich einem ausgegrenzten Elternteil
helfen, sich von seinem Kind seelisch zu lösen, obwohl dieses Kind vielleicht
einen Kilometer entfernt lebt und er es aus der Ferne sieht? Ich weiß es nicht.
Ich mag darüber auch nicht nachdenken, welche Techniken sich entwickeln ließen,
um hier der menschenverachtenden Realität noch einen Grad von Aushaltbarkeit zu verschaffen.
Gibt es da gar keinen Ausweg, keine Hilfe?
Händchen halten und weinen lassen. Vielleicht finden manche in
Selbsthilfegruppen, in Gruppen Gleichbetroffener ein Stück Stärke, eine Stütze.
Das ist wirklich ein schwieriger Prozess. Ist das Kind tot, kannst du in den
Prozess der Trauerarbeit eintreten. Dann kannst du weinen, und irgendwann bist
du wieder soweit, um ja zu sagen zu einer veränderten, einer ärmeren neuen
Realität. Was soll ich aber einem Menschen sagen, für den sein Kind, das wenige
Kilometer entfernt lebt, ein Stück seiner Identität ist? Ich weiß es nicht.
Wissen Sie etwas?
Ein Anwalt erzählte mir er gebe Vätern in diesem Fall den folgenden Tipp mit
auf den Weg: »Zieht euch zurück und wartet. Eure Kinder werden sich schon bald
wieder bei euch melden.« Nach meiner Erfahrung melden sich die Kinder jedoch
erst nach vielen Jahren, meist erst in der Pubertät, aus eigenem Antrieb. Viele
ausgegrenzte Väter berichteten mir, dass sie ihre Kinder auch aus diesem Grund
nicht einfach ad acta legen können.
Auch ich würde grundsätzlich sagen: nicht lockerlassen! Nicht das Kind in Ruhe
lassen, weil man denkt, so schütze ich es vor den Konfliktmühlen einer
abschottenden Mutter. Das ist meistens ein ganz grauenvoller Bumerang: Erfolgte
die Trennung vom Vater schon frühzeitig, kommen die Kinder eben nicht drei
Jahre später wieder. Wenn sie kommen, dann zumeist erst, wenn sie groß sind.
Und dann weinen zwei Menschen einer Geschichte hinterher, die nicht nachholbar ist, die unwiederbringlich weg ist. Wenn Kind
und Vater sich seit Jahren nicht mehr gesehen haben, werden sie einander fremd,
nicht nur im äußerlichen Sinne. Da hat das Kind im Kopf: Das ist mein Vater,
und der Vater hat im Kopf: Das ist meine Tochter oder mein Sohn. Doch was
fehlt, ist die Intimität in der Begegnung miteinander, die ohne regelmäßige
Kontakte nicht herstellbar ist. Ich kenne eine ganze Reihe dieser
Vater-Kind-Beziehungen, die dann später wieder auflebten. Da ist die Seele weg.
Deshalb mein Plädoyer: Vater, lass nicht locker! Aber das sagt sich so leicht.
Es gibt ja diese Beschlüsse, dass Väter sich ihren Kindern nicht weiter als 500
Meter nähern dürfen. Wie soll so ein Vater es bloß anstellen, den Kontakt nicht
abbrechen zu lassen? Da bin ich mit meinem Latein am Ende und weiß nur eines:
Radikal in die andere Richtung schauen und fragen, wie wir diese strukturelle
Gewalt abschaffen können!
Unser Familienrecht wird fortan stärker von den Rechten des Kindes, nicht
von den Egoismen der streitenden Eltern ausgehen.
Richtig. Für mich hat jedes Kind natürliche Rechte. Zu den vorrangigsten
natürlichen Rechten eines Kindes gehört das Recht, in der Geborgenheit, in der
Sicherheit, in der Intimität der exklusivsten Menschen, die es in seinem Leben
gibt, aufwachsen zu können: mit den Eltern. Das ist für mich ein Kindesrecht
und muss nicht dauerhaftes Zusammenleben heißen.
Sollen Kinder und Väter die sich aufgrund frühzeitiger Elterntrennung nicht
kennen, Kontakt aufnehmen?
Selbstverständlich. Das ist für mich eine Sache von Ethik und Moral. Auch hier
muss man vom Kind her schauen: Welche Ansprüche an dieses Leben hat ein Kind?
Wir Erwachsenen sind verpflichtet, diese kindlichen Ansprüche zu erfüllen! Das
Recht des Kindes auf den anderen Elternteil ist unantastbar, ganz gleich, ob
Mama und Papa zusammenleben oder nicht. Es ist sinnvoll, den Vater so früh wie
möglich in das Leben des Kindes hereinzubringen, vor allem dann, wenn seine
Mutter ohne neuen Partner lebt und das Kind kein Vaterangebot hat. Das gilt
aber auch, wenn das Kind bereits einen anderen, einen sozialen Vater hat. Kinder
haben keine Probleme, dass sie auf einmal zwei Papas haben - das sind Probleme
der Erwachsenen. Für mich gilt aber auch ein menschliches Gebot dem Vater
gegenüber: Einem Vater, der Vater sein will, sollte die Mutter das Kind nicht
vorenthalten! Noch ein ganz anderer Aspekt: Wir leben in einer Zeit
hochgradiger Veränderungen, vor allem im Verständnis von Partnerschaft und
Familie. Für die nächste Kindergeneration wird es schon ein Stück Normalität
sein, im Laufe ihres Kinderlebens verschiedene Familienformen kennen zu lernen:
Ehe oder nichteheliche Lebensgemeinschaft über einige Jahre, dann nach Trennung
der Eltern mit einem Elternteil, dann nach Heirat dieses Elternteils gemeinsam
mit einem Stiefelternteil, und diese Beziehung geht auch wieder in die Brüche -
die Wiederscheidungsquote ist höher als die
Scheidungsquote. Wir müssen uns Gedanken machen, wie wir über diesen Wandel
hinweg ein Stück Konstanz, was da Kindeswohl heißen soll, hinwegtransportieren
können. Ich weiß nur eines: Die für das Kind verlässlichsten und sichersten
Menschen sind Eltern, die ihm Eltern sein wollen.
Drei Väter-Gruppen sind heute auszumachen: Väter die ihre Kinder durch das
Leben begleiten; Verdrücker die sich aus der
Verantwortung stehlen und ihr Kind Kind sein lassen
und es gibt Väter, die darum betteln und flehen, Vater sein zu dürfen, aber
nicht gelassen werden. In der Tat gibt es diese Väter, wo die Mütter betteln
und flehen: »Sei unseren Kindern ein Vater!« - aber die Väter wollen nicht. Es
macht keinen Sinn, darüber zu lamentieren und dann alle Väter zu verteufeln,
wie viele Feministinnen das tun. Die einzige Frage, die wir uns stellen müssen,
kann nur die sein: Was können wir tun, um solche Väter im Interesse ihrer
Kinder einzufangen? In der Regel sind auch diese Väter keine Schweine oder
Bündel von Gleichgültigkeit. Die waren auch einmal Kinder. Wenn ein Vater sich
so salopp davonmacht, spiegelt dies im Grunde das Verständnis einer Vaterrolle
wider, das er in seiner eigenen Kindheit von seinem Vater kennen gelernt hat.
Genau dort müssen wir ihn abholen. Das heißt auch hier: Pflichtberatung für
flüchtige Väter. Eine Beratung ist auch für diese Väter das richtige
Auffangbecken. Wenn ich als Berater einen Kontakt mit so einem Vater habe, höre
ich mir dessen Geschichte an und frage ihn: »Wie hast du deinen Vater erlebt?
Wie hättest du ihn gerne erlebt?« Ich bin überzeugt, dass dann oft ein Prozess
von Nachdenklichkeit in Gang kommt. Auch die sogenannten
»neuen Väter« fallen ja nicht vom Himmel. Bei aller Lächerlichmachung
aus feministischer Ecke: Tatsache ist, dass sich ein Bewusstseinswandel bei den
Vätern vollzieht. Der hat seine Wurzeln mit Sicherheit nicht in den
Herkunftsfamilien.